Rainer Rehfeld
Alphaversionen
»Das Bild ist ein Modell der
Wirklichkeit.« (Ludwig Wittgenstein)
Das menschliche Gehirn rekonstruiert die Welt aus
unvollständigen Informationen über einen so genannten Bayesschen
Wahrscheinlichkeitsansatz, der Wahrscheinlichkeit als Grad persönlicher
Überzeugung definiert: Vieles, was der Mensch als vermeintlich objektive
Wahrnehmung empfindet, ist in Wirklichkeit bloße Rekonstruktion der Umwelt, die
das Gehirn vornimmt. Allerdings gehorchen neuronale Prozesse Naturgesetzen,
somit bewegen sich die kognitiven Leistungen des Menschen desgleichen innerhalb
gesetzter Grenzen. Die menschliche Sicht auf seine Umwelt ist demzufolge
beschränkt. Letztlich nutzt der Mensch sein Vorwissen über die Welt, um die
Dinge in seiner Umwelt zu erkennen und einzuordnen.
In unmittelbarer Nähe zum Leverkusener Carl-Duisberg-Park
steht das 122 m hohe entkernte Fragment des einstmaligen Verwaltungsgebäudes
der Bayer AG. Für den Herbst 2009 war seine Inbetriebnahme als eine der
weltgrößten Medienfassaden avisiert, der die Befestigung von 5,6 Millionen
Leuchtdioden (je zwei rote, zwei grüne und eine blaue LED als eine Einheit) an
der mit Stahlmatten verkleideten Außenwand, der Bau eines so genannten »grünen
Kerns« aus semitransparenten Makrolon innerhalb des Objektes sowie
Testversionen für die wahlweise tagsüber zweiseitigen und nachts rundum
laufenden Bildflächen vorausgegangen waren.
Die während dieser Testphase entstandenen
dokumentarfotografischen Aufnahmen von Rainer Rehfeld nähern sich schrittweise
dem dramatisch aufgeladenen Aufeinandertreffen von einer vergleichsweise
naturbestimmten Parkumgebung und einem Architekturrelikt sowie dessen technisch
modifizierter Fassade als Teil einer – völlig undurchsichtigen – vernetzten
medialen Struktur.
Aufgrund des Ausmaßes der Fehler im technischen Konzept
der Medienfassade, die sie für einen produktiven Einsatz ungeeignet machten,
ist die Zukunft der Medienskulptur bis auf weiteres ungewiss. Faszination und
Irritation des fotografischen Bildes als Abbild von tatsächlicher oder
vermeintlicher Wirklichkeit aber sind fortwährend wie zugleich der Verweis auf
die Grenzen, in der sich das menschliche Denken bewegt.
Anja
Hellhammer